Kolumne von Norbert Rief „Die Presse“ vom 4.12.17

Wie direkte Demokratie in St. Pölten funktioniert

Tierschützer haben das Büro von Landeshauptfrau Mikl-Leitner besetzt und so eine politische Zusage erzwungen.

Kolumne von Norbert Rief

Interessant auch die Reaktion von Martin Balluch.

Martin Balluch @tierrechtsdemokratie – Facebook Beitrag

(4) Martin Balluch – Beiträge

Ein Artikel in der Presse zu unserer Besetzungsaktion und ein Leserbrief von Martin Balluch dazu:

norbert.rief@diepresse.com

Sehr geehrter Herr Rief,

ich bin etwas erstaunt über Ihr Kommentar zu unserer – wie Sie selbst sagen so erfolgreichen – Besetzung des Büros der Landeshauptfrau von Niederösterreich. Erstaunt bin ich, weil Sie Zivilen Ungehorsam dieser Art, nämlich gewaltfrei und offen, scheinbar als demokratiepolitisch nicht legitim betrachten. Es mag sein, dass in Niederösterreich die Uhren typischer Weise etwas anders gehen und man „Demokratie“ noch eher autokratisch interpretiert, aber ist Ihnen bisher wirklich noch nie untergekommen, dass zu einer lebendigen Demokratie die Partizipation der Zivilgesellschaft gehört, die immer auch Zivilen Ungehorsam umfasst? Ich darf Sie an Martin Luther King in den Südstaaten der USA erinnern, oder an Mahatma Gandhi. Würden Sie deren Aktivitäten auch als demokratiewidrig sehen? Oder ist das in diesen Fällen alles ganz anders, weil es ja nur um Tiere geht und da andere Massstäbe anzusetzen wären? Wenn Letzteres, dann darf ich Sie darauf hinweisen, dass das Anliegen der TierschützerInnen ja genau jenes ist, den Tierschutz politisch aufzuwerten und als ebenso wichtiges Thema zu etablieren, wie menschenrechtspolitische Fragen. King in den Südstaaten der USA hatte dasselbe Problem, der Umgang mit AfroamerikanerInnen wurde als politisch irrelevant gesehen und dagegen begehrte er mit Mitteln des Zivilen Ungehorsams auf. Es geht hier um Methoden politischer Kampagnen in einer Demokratie, die ja unabhängig von ihren Zielen entweder legitim oder illegitim sein müssen. Wer grundsätzlich gegen die Besetzung des Büros der Landeshauptfrau ist, weil sie Ziviler Ungehorsam war, muss auch gegen Kings Aktionen des Zivilen Ungehorsams sein.

Aber wir brauchen doch gar nicht so weit in die Vergangenheit und in andere Kontinente zurückgehen. Die Besetzung der Hainburger Au im Winter 1984 ist doch auch ein gutes Beispiel von erfolgreichem Zivilen Ungehorsam. Aus einem Projekt zur Zerstörung eines Urwaldes wurde ein Nationalpark. Damals zur Au wie heute zum Gatterjagdverbot gab es Bürgerinitiativen, wurden Unterschriften gesammelt, wurde jahrelang legal protestiert und um Gehör bei der Politik gebeten. Damals wie heute scheiterte der Mehrheitswille, der in einer Demokratie doch ausschlaggebend sein sollte, am autokratischen politischen System in Niederösterreich. Damals wie heute musste Ziviler Ungehorsam eingesetzt werden, um dem Mehrheitswillen zum Durchbruch zu verhelfen. Kritisieren Sie die Besetzung der Hainburger Au auch als demokratiewidrig?

Wenn Sie im Übrigen glauben, dass Aktionen des Zivilen Ungehorsams so lustig oder gar leicht sind, und weniger Aufwand bedeuten als Unterschriften sammeln, dann probieren Sie es doch einfach. Ziviler Ungehorsam ist immer erst der letzte Ausweg, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden und nichts Gehör fand. Es gibt viele sozialwissenschaftliche Arbeiten zum Zivilen Ungehorsam, seiner Rechtfertigung und seiner Rolle in der Demokratie. Ich darf Ihnen dazu mein Buch „Widerstand in der Demokratie. Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen“ ans Herz legen. Darin finden Sie folgende Charakterisierung von legitimem Zivilen Ungehorsam:

* Symbolisch-appelativ
* Teil mehrheitlich legaler Aktivitäten
* Alle legalen Wege ausgeschöpft
* Bewusstseinsbildender Charakter
* Keine Drohwirkung
* Sachschäden minimiert

Ich kann jetzt nicht beurteilen, ob Sie erstmals in Ihrem Leben mit der Frage der Rechtfertigung von Zivilem Ungehorsam an sich konfrontiert sind, oder ob Sie nur Zivilen Ungehorsam im Zusammenhang mit Tierschutz in Frage stellen. Das ist Ihrem Artikel nicht zu entnehmen, obwohl es um Zivilen Ungehorsam an sich zu gehen scheint. Es würde mich interessieren von Ihnen zu hören, wie Sie zu Gandhi, King und der Besetzung der Hainburger Au stehen. Waren das damals ganz andere Situationen oder lehnen Sie diese doch heute allgemein anerkannten Fälle von Zivilem Ungehorsam auch rundheraus ab und manövrieren sich damit in eine Minderheitenmeinung, die landläufig als demokratiefeindlich gesehen wird?

Mit freundlichen Grüßen,

Martin Balluch